Zum "offenen Brief" (bei der NÖ Umweltanwaltschaft eingelangt am 8. Februar 2016 per E-Mail) von ALLIANCE FOR NATURE zum Thema "ÖBB Infrastruktur AG, Semmering-Basistunnel neu - Naturschutzverfahren" ist die Antwort umgehend am 10. Februar 2016 ebenfalls per E-Mail erfolgt.
Hiermit nimmt die Niederösterreichische Umweltanwaltschaft ebenfalls öffentlich zur Thematik Stellung:
Im Schreiben von ALLIANCE FOR NATURE wird behauptet, dass illegale Bauarbeiten zum Projekt „Semmering-Basistunnel neu“ auf niederösterreichischer Seite entfaltet würden und die Einstellung derselben gefordert. Diese Behauptung wird auf die Regelung von § 42a („Fortbetriebsrecht“) UVP-G 2000 idgF. gestützt, der wie folgt lautet:
„Wird ein Genehmigungsbescheid in der Fassung eines Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom Verwaltungsgerichtshof aufgehoben, so darf das Vorhaben bis zur Rechtskraft des Ersatzerkenntnisses, längstens jedoch ein Jahr, entsprechend dem aufgehobenen Genehmigungsbescheid in der Fassung des verwaltungsgerichtlichen Erkenntnisses weiter betrieben werden. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsgerichtshof der Revision, die zur Aufhebung des verwaltungsgerichtlichen Erkenntnisses führte, die aufschiebende Wirkung zuerkannt hatte.“
Es wird in obgenanntem Schreiben ins Treffen geführt, dass sich diese Norm nur auf den Betrieb, nicht aber auf die Errichtung des Vorhabens beziehen würde.
Hierzu ist anzumerken, dass es sich dabei um eine in Lehre und Praxis strittige Rechtsfrage handelt und unseres Wissens nach keine richtungsweisende Judikatur dazu vorliegt: Einerseits führen Baumgartner/Petek 316 an, dass dem Fortbetriebsrecht nur ein eingeschränkter Anwendungsbereich zukommt, weil es sich nur auf den Betrieb und nicht auf die Errichtung des Vorhabens beziehe (unter Hinweis auf Grabler/Stolzlechner/Wendl § 359c GewO Rz 2; ebenso Ennöckl/N. Raschauer/Bergthaler § 42a Rz 8).
Andererseits führen Schmelz/Schwarzer 42a Rz 1 ins Treffen, dass das Fortbetriebsrecht gemäß § 42a UVP-G 2000 idgF. dem Genehmigungswerber nach einem aufhebenden VwGH-Erkenntnis längstens für ein Jahr eine provisorische Rechtsgrundlage für den Weiterbetrieb und die weitere Errichtung des Vorhabens bietet. Diese Rechtsmeinung versteht unter dem „Betrieb eines Vorhabens“ im Sinne des UVP-G 2000 (vgl. § 2 Abs. 2 wie auch § 24 Abs. 7 leg. cit.) sowohl seine Errichtung als auch den eigentlichen Betrieb.
Anzumerken ist in diesem Zusammenhang weiters, dass das von ALLIANCE FOR NATURE ins Treffen geführte Rundschreiben des BMLFUW keine Verbindlichkeit für sich in Anspruch nehmen kann.
Und schließlich wird noch das jüngst vom Gesetzgeber verabschiedete „Bundesgesetz, mit dem das Energie-Infrastrukturgesetz erlassen, das Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz 2000 und das Energie-Control-Gesetz geändert sowie das Bundesgesetz über die Frist und das Verfahren in den Fällen des Art. 12 Abs. 3 des B-VG aufgehoben werden“ ins Treffen geführt, welches mittlerweile im Bundesgesetzblatt ordnungsgemäß kundgemacht worden ist (zum Zeitpunkt der Beantwortung des offenen Briefes war es gerade erst vom Nationalrat beschlossen worden).
Die Ausführungen von ALLIANCE FOR NATURE, wonach durch die Nichtänderung von § 42a UVP-G 2000 idgF. der Gesetzgeber seinen Willen zum Ausdruck bringen würde, dass sich das normierte Fortbetriebsrecht eben nur auf den eigentlichen Betrieb, nicht aber auf die weitere Errichtung des Vorhabens beziehen soll, kann die NÖ Umweltanwaltschaft nicht teilen. Ebenso gut bzw. sogar mit größerer Wahrscheinlichkeit kann der Wille des Gesetzgebers durch die Ausgestaltung der neu hinzukommenden Bestimmung von § 46 Abs. 26 leg. cit.: ... “gilt für den Fall der Aufhebung oder Nichtigerklärung aus dem Grund, weil darin eine nach dem Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 16. April 2015, C-570/13, als unionsrechtswidrig beurteilte bindende Wirkung von Feststellungsbescheiden nach § 3 Abs. 7 oder § 24 Abs. 5 angenommen wird, § 42a mit der Maßgabe, dass bis zur Rechtskraft des Ersatzbescheides oder Ersatzurteils, längstens jedoch drei Jahre ab der Zustellung der die Genehmigung aufhebenden oder als nichtig erklärenden Entscheidung an den Projektwerber/die Projektwerberin, das Recht zur Errichtung und zum Betrieb des Vorhabens weiter ausgeübt werden kann.“ darauf gerichtet sein, hiermit zu bedeuten, dass § 42a eben auch das Recht zur Errichtung eines Vorhabens mitumfasst.
Eine entsprechende Klärung bzw. Entscheidung einer diesbezüglichen Rechtsfrage hat durch die Legislative bzw. durch die Rechtsprechung zu erfolgen. Eine solche ist nicht Aufgabe der NÖ Umweltanwaltschaft, dies wäre jedenfalls eine Überschreitung ihres gesetzlichen Auftrags.
Anzumerken ist jedoch, dass es in dieser Thematik zu Anzeigen wegen Amtsmissbrauchs gegen den Bezirkshauptmann von Neunkirchen und die den Fall bearbeitende Sachbearbeiterin gekommen ist. Aus Sicht der NÖ Umweltanwaltschaft ist es uner- und dem Rechtsfrieden in hohem Maße abträglich, wenn Anzeigen wegen Amtsmissbrauchs in Fällen erhoben werden, wo Entscheidungen auf Basis vertretbarer fundierter rechtlicher Einschätzungen getroffen werden. Die NÖ Umweltanwaltschaft verurteilt ein solches Vorgehen, das für die betroffenen Personen eine völlig ungerechtfertigte Belastung darstellt, auf das Schärfste.